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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 2 (Februar 1927)
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Bertsch, Karl: Das Wesen der Psychoanalyse und ihre Bedeutung für den Unterricht im bildhaften Gestalten
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0035

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Das Wesen ber Psychoanalyse nnd ihre Bedeutung
für den Anterricht im bildhaften Gestalten

Bon Karl Aertsch

Um die Aedculuno der psvchoamilyiischen Ergeb-
nisse fiir dus Gebiet öes liiiustlerischen Gestaltens
daruilegen, isk es notmendig, zunächst ein Aild zu
geben, mie die Psychoanalyse lbis jeht) den „Grund-
rist" der Seele darskellt, und mie sie auf Grund
ihrer Erfahrungen zu diesem Enlmurf liann

Die Psychoanalyse mar ursprünglich ein Heil-
vcrfahren, das an der Hysterie erprobt murde. Man
hnlte bis dnhin nngenoininen, dasz diese Kranliheik
inik ihren selksamen liörperlichen und geistigen Merli-
inalen in Störungen des Oraanismus, besonders des
NervensystemS ihre Ilrsaäze yabe. Siegmund Freud,
der Aegrlinder der Psychonnalyse, verlegte die Wur-
zeln dieser Kranliheit ganz ins Seelische und stellte
Lie liörperlichen Merlimale als Folgeerlcheinungen
von Skauungen und störenden Äückständen in der
Seele fesk. Eine Heilung sei demnach nur möglich,
ivcnn man diese Slörungen beseikige. Aus diesem
mik Erfolg angemandten Heilversahren murde die
Psychonnalyse, melche als ihre Aufgnbe ansieht,
durch besondere Methoden die Scele von solchen
Slnuuugen zu besreien. Am daS lun zu liönnen,
inuszle sie sich iiber die Kräfke der Seele lilnr mer-
den, aus dem Leilverfahren niustke Psychologie
merden, eine Lehre von der Seele überyaupk. Die
Ergebnisse dieser Forschung sind liurz folgende:

Die mesenkliche Arbeit aller Seeientäkiglieiten
gehk im „Ilnbeivuszken" vor sich, das den Haupt-
bestandkeil der Seele und damik der Persönlichlieit
bildet, d. h. im Unbemuszten denlik, fühlt, arbeitet
nian überhaupt viel mehr, als bisher angenommen
ivurüe, und das, mas dnvo» jemeilig zur Kennknis
dcs Bemusttseins lionimt, ist nur ein ganz geringer
Teil. Dabei leikek die Psychoanalyse alles Seelen-
geschehen auf einige zielstrebige Kräfke des Seelen-
stroms zurück. Die von der Nnkur gegebene Haupt-
iirast isk der „Trieb". Der Tricb treibk den Men-
schen — in der Nichlung nach „Lust". Lust in dem
meile» Sinn, ünst alle Energieenkspannungen liör-
perlicher und geisliger Arl „Lusl" erzeugen, u»d die
Ansammlungei,, die lieinen Abflust finden — „Un-
lusk". Freud nimmk als den mächkigsten Trieb den
„Sezmallrieb" an. Dieser Hauptkrieb transporkiert
eine Trieblirafkmenge, die sog. „Libido". Dieser
Sezualkcieb, auch „Es-kr!eb" genaiint, mürde in tie-
rischer Wuchk Seele und Körper an der Auszen-
melk zum Scheikern bringen, wenn nicht !n der Seele
eine Schulzvorrichkung wäre, die sich dem Es-Trieb
entgegenstellt: der „Ichkrieb". D. h. ivenn der Es-
Trieb hervorbrechen mill, so ist das nichk ohne mei-
kcres möglich: daS „2ch" erhebt unlcr Ainständen
Einspruch, veranlaszt das „Es", seine Ansprüche
auszuschieben oder überhnupt^nuszugeben. Das geht
»ichl ohne Kampf des Ichs gegen ünS Es ab, und
dieser fällt so lnnge zu Gunsten des 2chs auS, als
cS seine volle Lcislungsfähiglieit besistk. Diese Llbmei-
sung, die das äch in einem solchen Fcstle unlernimink,
iiann zur „B e r d r ä ii g u n g" führen. Eine Teil-
nienge ües „Es" mird, da sie sich in der Auszen-
melt nichk vermirlilichcn darf, ins Ilnbewuszte abge-

schoben und dort isoliert, unzugänglich gemacht —
ist deshalb auch späkerhin vom 2ch nicht mehr beein-
fluszbar. Diese „verdrängke" Triebmenge bleibt aber
nicht müszig und weijz sich unter Umständen zu enk-
schädigen: sie schafft sich eine Ersalzbefricdigung, und
diese brichk im Kranliheiksfall ins Bewusztsein durch,
schafsk das, was man ein „Symptom" nennt.

Freud stellte nun fest, dasz die gröszken Verdrän-
gungen meistenS im frühen Kindesalter vorgenommen
werden, zu einer Zeit also, da das stch noch nichk
so enlwickelt ist, dajz es sich über die Folgen seinei
Handlungen lrlar sein könnte. Kommt es nun in
jpäkerem Alker zu einem neuen Konflikt zwischen
2ch und ES, einer neuen „Verdrängung", so zieht
sich gleichsam diese neu verdrängke Es-Triebmenge
auf diePhankasie zurück und wandert rückwärks
nacb jener Verürängung im Kindesalter hin l„Re-
gression") — verbllndet sich mik ihr und brichk, wie
schon ermähut, im Krankheiksfall ins Bewustksein
durch, d. h. sie verschafft sich jene Ersahbefriedigung,
das „Sympkom": zmingt den Menschen wie z. B.
bci der Zmangsncilrose, sinnlose Hnndlungen zu bc-
gehen. Solche Fälle merden dndurch geheilt, dasz
nian dem Kranke» durch belondece, langmierige
Methoden jene „Verdrängung , die er in früheni
Kindesalter unbewujzk vollzog, ins Bewuhksein her-
aufholt. Damik steht dann dem Patienten die da-
mals verdrängte Es-Menge wieder zur Verfllgung
und er ist geheilt, d. h. er wird so, wie er bei nor-
maler Entwicklung bestenfalls geworden wäre.

Auszer dem stch, das in der Ueberwindung der
ES-Triebe seine Besriedigung findek, hat die Seele
noch eine zweike Einrichkung, die dem wilden An-
drang der Triebe steuert: das „lödeal-l!ch" oder
„Ueber-Üch", das sich in einem gewissen Alter
der klndlichen Enkwicklung herausbildck. Nach der
ersten Entwicklungsperiode wendet sich, nach der
Psychoanalyse, die kindlichc Sezualikät den Elkern
zu, und zmar haupksüchlich dem Eller mik entgegen-
geseiztem Geschlechk, während eS dem anderen Elkec
gchässig, ja mil dem unbeskimmken Wunsch nach
dessen Tode gcgcnliberstehk. LS enkskeht das, was
Freuü nach der griechischen Sage den „Oedipus -
komplez" nennt. Dagegen greift nun zunächsl
das 2ch ein, und es lrommen gerade ln dieser Zeik
die gröszken Verdrängungen vor, die von Schuld-
gefühlen begleikek sind — damik die Geburt des
Ueber-lKhs einleitend. Das Kind skellk z. V. den
vorher gehaszken Vaker allmählich als stdcalvorbild
auf und enlwickelk ekwas in seiner Seele, das nach
Loslösung von aller „Schuld", nach Erhebung strebt.
Dieses siktliche 3deal-llch wirft sich also gleichfallS
dem Skrom der Es-Triebe, unker Umständen auch
mindermerligen Skrömungen des egoistischen 2chs
entgegen. ES ist üas, was wir „Gewissen" nennen.

Während also das der Wirklichkeit zugewandke
2ch üie Ls-Triebe verdrängt, lenkt das dem stdeal
zugewanüke Aeber-l!ch die Es-Triebe in höhere Bah-
nen, eS „sublimiert" sie. Diese Tätigkeit üer Ab-
leikung („Sublimierung") der Triebe spielt im Leben
 
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